Menschliche Abgründe
Was geschehen ist, im Juli 1816, ist rasch erzählt: Die Fregatte Medusa strandet auf ihrem Weg von Frankreich nach Senegal auf einer Sandbank. Da der Platz auf den Rettungsbooten nicht für alle Passagiere reicht, werden 147 von ihnen fast ohne Wasser und Nahrung auf einem manövrierunfähigen Floß zurückgelassen. Als es zwei Wochen später gefunden wird, leben nur noch 15 Menschen.
Was Raum braucht, sind Antworten auf die Fragen nach den Ursachen für das historisch verbürgte Schiffsunglück und die vielen Toten. Genau diesen widmet Franzobel seinen Roman. Menschliche Abgründe tun sich auf, im Angesicht des Überlebenskampfes. Unglaubliche Fehlentscheidungen werden getroffen. Auch deshalb, weil der Kapitän ganz bestimmt nicht aufgrund seiner nautischen Erfahrungen eingesetzt wurde – sondern als treuer Royalist. Bei all seinen Schwächen überrascht es nicht, dass er nicht der Letzte ist, der das gestrandete Schiff verlässt.
Franzobel hat gründlich recherchiert – das will etwas heißen, für einen „faulen Hund“ als den er sich selbst bezeichnet. Plastisch schildert er das schon vor der Katastrophe wenig beschauliche Leben an Bord. Mit zahlreichen Metaphern sorgt er für Verständnis und hilft, den Überblick über die vielen handelnden Personen – sorgfältig ausgewählt beziehungsweise da und dort fiktiv ergänzt – zu wahren.
Der durchaus derbe Stil, für den Franzobel bekannt ist, trifft hier auf den idealen Stoff. Seine Schilderungen menschlicher Schwächen sorgen auch in an sich schlimmen Situationen für Schmunzler. Spätestens dann aber, als die 147 Menschen hüfttief im Wasser stehen, weil das Floß mit diesem Gewicht nicht mehr aufschwimmen kann, und der Überlebenskampf beginnt, ist es mit jeglichem Humor vorbei. Dann hilft es nur noch, sich hin und wieder Lesepausen zu gönnen.
Diese Buchvorstellung ist im Kulturbericht des Landes OÖ 0708/2017 erschienen.
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