Moral und Menschlichkeit in Braunau
Aufgerüttelt durch Medienberichte über ein Hitler-Double macht sich eine Autorin auf den Weg nach Braunau. Im Gepäck hat sie ein Affenkostüm, das sie sich in einer Identitätskrise aus einem Impuls heraus zugelegt hatte. Die eigene Erfahrung ihrer Metamorphose durch dieses Kostüm will sie nutzen, um als Guerilla-Gorilla-Autorin hier für Moral und Menschlichkeit zu sorgen.
Unterstützt vom Geist der Besitzerin des Hitler-Geburtshauses trifft sie den als Harald Hitler auftretenden Schauspieler auf der Inn-Brücke. Und kann ihn letztendlich als Mitstreiter in ihrem Projekt zur „Affen = Menschwerdung“ von rechtspopulistischen Akteuren gewinnen. Sie startet die Initiative Zirkus.Braunau.2025. Gemeinsam mit immer zahlreicher werdenden Aktivistinnen und Aktivisten gründet sie die Affenschule Apes & Hopes und ein SPAR-Supermarkt-Pop-Up. Zur Mitgliederwerbung und Massenbekehrung organisiert die Initiative zudem „Flixibus“-Fahrten ins Disneyland Paris.
In rasantem Tempo nimmt Daniela Emminger ihre Leserinnen und Leser auf eine Tour-de-Force durch die aktuelle österreichische Innenpolitik und die rechten Auswüchse von Politik und Gesellschaft mit. Sie spielt mit Sprache, Form und ihrer überbordenden Fantasie. Den Text gestaltet sie als „Prosatheater“, eine „selbstgezimmerte, teilerfundene Textgattung“ in fünf Akten.
Der spielerische Zugang sorgt auf den ersten Blick für Leichtigkeit. Und doch verbirgt sich ein kritischer und sehr ernsthafter Zugang zu Moral und Menschlichkeit dahinter. Emminger erspart sich und uns damit den moralisierenden Zeigefinger. Und so absurd die Geschehnisse im Zirkus.Braunau auch scheinen mögen: Die zahlreichen Hinweise auf das aktuelle politische Geschehen und seine Akteure zeigen, dass die Realität teils mindestens ebenso absurde Blüten treibt. Zum Lachen und Weinen.
Diese Buchrezension ist im oö. Kulturbericht 3/2021 erschienen.