Rechtsstaatlichkeit

Verstrickungen

Man kann diesen Roman natürlich auch als Krimi lesen. Dann begibt man sich auf eine überaus wilde Tour, gespickt mit grausam inszenierten Leichen, kauzigen Polizisten, zynischen Gefängniswärtern und einigen durchaus grauslichen Szenen.

Man kann dieses Buch aber auch als Dystopie eines Landes lesen, in dem die Rechtsstaatlichkeit immer mehr unter Druck gerät. Malte Dinger ist ein unbescholtener Familienvater und erfolgreicher Betreiber eines Wiener Szene-Lokals. Durch eine vergessene Monatskarte gerät er in die Fänge der Justiz und verstrickt sich immer weiter darin. Er weiß nicht, woran er ist. Nicht einmal ein Telefonanruf an seine Frau ist ihm möglich. Unweigerlich fühlt man sich an Josef K. in Kafkas „Prozess“ erinnert.

Franzobel hat seinen Krimi ins Jahr 2024 verlegt. Lange genug entfernt, um politische Veränderungen plausibel zu machen. Nah genug, um Bezug zur aktuellen Lage herzustellen. Die mit großer Mehrheit gewählte LIMES-Partei für „wahren Sozialismus“ baut den Staat kontinuierlich um. Um die westlichen Werte zu verteidigen, werden individuelle Freiheiten und Rechte verringert. Der Protest bleibt auf Randgruppen und Künstler beschränkt, freut sich die Mehrheit doch über Steuererleichterungen und billigeres Benzin.

So wird auch Malte Dinger erst durch seine Verstrickung ins Justizsystem bewusst, was hier passiert: Wie Politik und einige wenige gut vernetzte und mächtige Familien das Land in ihrem Eigeninteresse umgestalten. Nicht wenige der Portraitierten lassen unweigerlich auf reale Akteure der österreichischen Gesellschaft schließen.

Bitterböse und mit skurrilem Humor zeigt Franzobel auf, wie Menschen auf die immer totalitäreren Verhältnisse reagieren. Ein durchaus bedrückendes Szenario. Wie auch immer man dieses Buch lesen mag: Spannend ist es allemal.

Verlagsinfo zum Buch

Diese Buchrezension ist im oö. Kulturbericht 9/2020 erschienen.

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