Entfremdung
Nach Fischen und Seesternen ist es nun also ein Schwan, der Anna Weidenholzers neuen Roman betitelt. Es handelt sich dabei um eine Schwänin, die sich angeblich auf der Suche nach einem Partner in ein Tretboot in Form eines Schwans verliebt haben soll. Irgendwie ähnlich und doch artfremd.
So geht es wohl auch Elisabeth, die seit einigen Jahren in einer Beziehung mit Peter lebt. Eine schlaflose Nacht lang resümiert sie die gemeinsame Zeit und ihr Leben in einer Siedlung in der Stadt, „die noch nie das Meer gesehen hat und doch unablässig Wasser dorthin weiterschiebt“. Je länger die Erzählung und die Nacht voranschreiten, umso deutlicher tritt die Entfremdung der beiden Lebenspartner zutage. Wobei nicht klar ist, ob sie immer schon bestanden hat und Elisabeth sie jetzt erst bemerkt. Oder ob sich die beiden im Laufe der Jahre auseinander entwickelt haben.
Auch diesmal versteht es Weidenholzer, in einer leisen, mit einem Individuum verknüpften Geschichte große gesellschaftliche Themen abzuhandeln. Ganz zentral steht hier die Frage, wie sich Menschen im sozialen Umfeld verhalten. Wo passen sie sich an und stimmen aus Höflichkeit zu? Wann wagen sie es doch, zu ihrer Überzeugung zu stehen? Können sie damit überhaupt etwas bewirken? Die zugrundeliegenden psychologischen Studien baut Weidenholzer geschickt in Form der mysteriösen „Professorin“ ein, die ihre Nachmittage Sherry trinkend im Café verbringt.
Ohne große Gesten, in klarer Sprache, mit nur wenigen, aber umso feiner gezeichneten Figuren entstehen eindrückliche Bilder. Wie jenes von der Wohnsiedlung, in der sich die Nachbarn gegenseitig beobachten und beurteilen. Die wertfreie Erzählweise berührt und regt zum Nachdenken an. Auch über Schwäne, die sich nicht davon abbringen lassen, ein Boot zu lieben.
Diese Buchrezension ist im oö. Kulturbericht 11/2019 erschienen.