Panzer

Im schützenden Panzer geborgen

Viel zu viel Zeit verbringt ein kleiner Junge allein mit seiner psychisch kranken Mutter. Die ältere Schwester hat sich mit einem umfassenden Freizeitprogramm eingedeckt, der bibeltreue Vater arbeitet bis in die Abendstunden. So liegt es am Volksschüler, die schluchzende Mutter zu streicheln, bis sie sich wieder beruhigt hat. Auch wenn ihm das sehr unangenehm ist. Viel lieber malt er halslose Monster in unlinierte Schulhefte und gibt ihnen Namen.

Immer wenn die Mutter in die geschlossene Abteilung eingewiesen wird, verbringt der Junge seine Zeit bei der Großmutter am Land. In ihrem etwas heruntergekommenen Hof findet er ein wenig Geborgenheit. Sie erzählt ihm von früher, der Kindheit seines Vaters, vom Großvater und dessen Freund, dem Amerikaner.

Der Junge zieht sich zurück, panzert sich ein und erzählt von sich selbst nur in einem ihn stärkenden Wir. Erst als Heranwachsender sucht er nach Ausbruchsmöglichkeiten aus seiner Familie, der unmöglichen Beziehung zu seiner Mutter und vielleicht auch seinem Panzer.

Es ist eine düstere und einsame Kindheit und Jugend, die Stephan Roiss in vielen kurzen Episoden zeichnet. Die einzelnen Szenen sind trotz ihrer teils sehr abrupten Sprünge durch ihre Reduktion aufs Wesentliche und ihre bildhafte Darstellung so eindrücklich, dass man sich schnell darin einfindet. Das Gesamtbild und die Atmosphäre sind stringent und stimmig.

Ungeschönt, nüchtern und klar formuliert Roiss: „Mutter war fünfmal in der geschlossenen Abteilung. Dort schluckte sie Neuroplektika mit ungesüßtem Früchtetee. Dort band man sie fest und jagte Stromstöße durch ihren Körper.“ Dennoch bleibt manches auch vage und lässt nur Vermutungen zu, wie der mögliche Autismus der Schwester oder die ebenfalls nur angedeutete Neurodermitis des Jungen.

Verlagsinfo zum Buch

Diese Buchrezension ist im oö. Kulturbericht 10/2020 erschienen.

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