Poetische Melancholie

Melancholie

Nach einer Herzoperation will sich ein Schriftsteller die Zeit der Rekonvaleszenz im Krankenhaus mit Musikhören vertreiben. Als er seinen iPod einschaltet, vernimmt er aber die Stimme einer Krankenschwester. Sie erzählt ihm von ihrem Ausbruch aus dem Alltag: Nach einer Zeit des Herumstreunens schlich sie sich ins Haus eines alleinstehenden Mannes. Monden heißt er. Sie bezieht einen Wandschrank. Ist Monden nicht zu Hause, nimmt sie von seinen Essensvorräten, duscht und spielt Klavier.

Nie wird klar, ob und wann Monden ihre Anwesenheit bemerkt. Er lebt weiter wie zuvor und unternimmt nur halbherzige Versuche, die Sache mit den verschwundenen Lebensmitteln aufzuklären. Auch später, als sie ihm offen gegenübertritt, tut er weiter so, als wäre sie nicht da. Diese Geschichte klingt absurd und beruht dennoch auf einer wahren Begebenheit: In Japan wurde 2008 eine obdachlose Frau entdeckt, die ein Jahr lang im Wandschrank eines alleinstehenden Mannes gelebt und sich an dessen Lebensmitteln bedient hatte.

Monden. Der Wellen Schatten. Schon der Titel verweist auf die mystische, rätselhafte und melancholische Stimmung des Romans. Die Krankenschwester ringt mit dem dominanten Vater und ihrer Androgynität. Der Schriftsteller mit dem Älterwerden und dem Tod. Beide sind einsam.

Poetisch und genau ist Federmairs Sprache: „Und später dann, Nachtmitte, hörte ich nichts mehr und hörte, wie ich nichts hörte oder … das Nichts hörte oder … Sagen wir so, ich belauschte das Nichts, damit es etwas freigab.“ Zeit und Muße braucht dieses Buch. Wie auf die Musik von Schuhmann und Chopin, die der Schriftsteller hört, die Krankenschwester am Klavier spielt, gilt es, sich einzulassen: Nicht alles erklären und verstehen wollen. Bilder entstehen lassen. Stimmungen und Gefühle wahrnehmen. Genießen.

Verlagsinfo zum Buch

Diese Buchrezension ist im oö. Kulturbericht 12/2017 erschienen.

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