Redet miteinander!

Laudatio anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Die Unzulänglichkeit der Produktivität“ von Tanja Jetzinger-Kössler am 25. Oktober 2017 in der Stadtturmgalerie Schwanenstadt

miteinander

Jetzinger-Kösslers Meisterstück „7,2 Mrd + 1“. Foto: Jetzinger-Kössler

Für ihre Ausstellung, die wir heute hier eröffnen dürfen, hat Tanja Jetzinger-Kössler einen anspruchsvollen Titel gewählt. Sie nennt sie „Die Unzulänglichkeit der Produktivität“ und bietet uns damit eine transdisziplinäre feministische Gesellschaftskritik. Komplizierte Worte, nicht einfach auszusprechen (ich habe extra geübt!) –  nicht einfach zu verstehen.

In Zeiten wie diesen, in denen es darum geht, Inhalte – oder vielleicht gerade Nicht-Inhalte – möglichst einfach verständlich und plakativ an den Mann und an die Frau zu bringen – so dass möglichst jedes Kind ohne groß darüber nachzudenken Bescheid weiß – oder Bescheid zu wissen vermeint. In Zeiten wie diesen, fällt so ein Titel wahrscheinlich stärker ins Auge. Irritiert. Wird vielleicht schneller einfach übergangen.

Aber: Ich glaube, nicht nur in Zeiten wie diesen (ein schreckliches Schlagwort, übrigens!) braucht der Mensch kritische Auseinandersetzung. Innehalten. Nachdenken. Miteinander reden. Verschiedene Bilder, Standpunkte und Informationen einsammeln, austauschen, reflektieren. Das eigene Bild, den eigenen Standpunkt ändern oder festigen. Das sagt sich so einfach – warum kann sie (also ich!) das behaupten, zeigt doch der Blick in die sozialen, digitalen und analogen Medien das genaue Gegenteil.

Ich behaupte es dennoch. Gerade in letzter Zeit hatte ich öfter die Gelegenheit, mich über komplexe Dinge mit anderen Menschen auszutauschen. Darüber, was unsere Unternehmens- und Arbeitswelt mit den dort arbeitenden Menschen macht, zum Beispiel. Auch über das Verhältnis und Miteinander von Männern und Frauen. Immer dort, wo der Diskurs offen und mit Wertschätzung geführt wurde, gingen alle bereichert, voller Energie und „bis oben hin satt“ zurück in ihren Alltag. Nicht, weil Lösungen gefunden wurden – die kann und wird es oft gar nicht geben, zumindest nicht pauschal – und schon gar keine einfachen. Sondern weil genau das guttut, aber leider meist zu wenig Raum bekommt: Zuhören. Nachdenken. Gedanken aufgreifen. Tiefer gehen. Miteinander reden.

Und darum finde ich es fein, dass Tanja Jetzinger-Kössler nicht den einfachen Weg eines plakativen Titels für ihre Ausstellung gewählt hat. Es würde aber auch so ganz und gar nicht zu dieser Künstlerin passen, deren Weg nie der einfachste ist. Sondern der, hinter dem sie stehen kann. Zu dem sie stehen kann. Das ist nicht immer leicht. Oft anstrengend. Einsam. Das alleine sein ist ja auch so ein Thema, mit dem sie sich beschäftigt. Ihr Meisterstück, das wir hier sehen werden, beschäftigt sich damit. Wir leben gemeinsam mit mehr als 7 Milliarden Menschen auf der Erde. Und sind dennoch allein. Müssen unseren Weg alleine gehen. Mit Begleitung, das ja. Aber für uns gehen kann niemand anderer. Wir kämpfen damit, wachsen daran. Fühlen uns eines Tages gestärkt. Bis wieder neue, unerwartete Herausforderungen auf uns zu kommen. Uns aus der Bahn werfen. Ein ewiger Kreislauf.

Ebenso wenig geht Tanja Jetzinger-Kössler den wohl einfacheren Weg, als Künstlerin klar zuordenbar zu sein. Kaum ist da eine Schublade, in die man sie gerne stecken würde, taucht wieder ein neues Puzzleteil auf. Sie ist Bildhauerin. Meisterin in diesem wunderschönen Beruf. Sie gestaltet aber auch witzige Q-Grafiken in schwarz-weiß. Zerlegt Staubsauger. Macht Stop-Motion Filme. Steht als Schauspielerin auf der Bühne. Und da ist noch so vieles mehr, das sie macht oder vielleicht eines Tages machen wird.

Und dennoch gibt es da einen roten Faden. Das ist das Prinzip der Weiblichkeit, die Beschäftigung mit der Stellung von Frauen in unserer Gesellschaft. Der Feminismus. Nicht im populär-hohlen Sinn, wie er aktuell auf Designer-T-Shirts prangt. Auch nicht im kämpferisch-ausgrenzenden Sinn. Sondern in diesem Sinn, in dem Mann und Frau auf Augenhöhe ihre Leben gestalten. Mit Wertschätzung für Eigenheiten, Stärken und Vorlieben. Es ist ja auch schon wieder fast ein Stehsatz, wenn ich sage, dass wir da auch 2017 noch meilenweit entfernt sind. Es ist noch ein langer Weg zu gehen. 170 Jahre dauert es, laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums, bis hier in Österreich Männer und Frauen die gleichen Chancen erhalten, wenn wir im gleichen Tempo weitermachen wie bisher. 170 Jahre, bis es egal ist, ob wir als Junge oder Mädchen zur Welt kommen, für unsere Stellung in Unternehmen, Politik, Gesellschaft und Familien.

Tanja Jetzinger-Kössler lädt uns mit ihrer Ausstellung ein, diesen Weg zu gehen. Mäandernd bewegen wir uns zu auf ihr Meisterstück, das Mann und Frau gleichermaßen symbolisiert. Denn letztendlich sind wir alle allein auf der Welt – egal ob wir als Mann oder als Frau hier leben.

Nun habe ich Ihnen nicht erklärt, was Tanja Jetzinger-Kössler mit ihrem Titel meint. Ich könnte es auch gar nicht. Denn es wäre nur eine, meine Interpretation. Ich lade Sie vielmehr ein, in Austausch zu treten: Mit den ausgestellten Kunstwerken, mit den anderen Besucherinnen und Besuchern. Und natürlich mit der Künstlerin selbst. Ich wünsche uns allen einen bereichernden Abend!

Tanja Jetzinger-Kössler

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