Wie tickt Amerika?
Wir Europäer rätseln immer noch über die Gründe, wie ein politisch unerfahrenen Marktschreier zum Präsidenten der USA gewählt werden konnte. Unsere Urteile treffen wir dabei oft mit dem Blick durch unsere europäische Brille. Allerdings bestehen trotz aller Nähe doch fundamentale Kulturunterschiede, geprägt durch eine andere Geschichte, andere Werte und Normen. Wie so oft hilft Literatur auch hier, Einblicke zu gewinnen und Geschehnisse nachzuvollziehen. Eine spontane Dreier-Auswahl aus dem großen Fundus toller Literatur US-amerikanischer Autorinnen und Autoren abseits der ganz großen Namen.
Nathan Hill: Geister / The Nix
Da steckt enorm viel drin, in diesem Buch: Schonungslose Porträts von unreflektierten, ich-bezogenen jungen Menschen aus der Mittelschicht, von in die Welt der Online-Games abgetauchten Männern, von karrieregetriebenen Kollaborateuren, von Menschen auf der verzweifelten Selbst-Suche. Dazu noch jede Menge amerikanische Zeitgeschichte angefangen bei den Studentenunruhen in Chicago 1968 bis zur Occupy Wallstreet Bewegung. In bester amerikanischer Storytelling-Tradition fesselnd geschrieben, so gefällt mir das!
Jeanette Walls: Ein ungezähmtes Leben / Half Broke Horse
Wer die auf Konventionen pfeifende Pippi Langstrumpf geliebt hat, wird auch das Leben von Lily Casey Smith spannend finden. Sie hat allerdings tatsächlich gelebt, ist Anfang des 20. Jahrhunderts auf einer abgeschiedenen Ranch aufgewachsen, hat sich durchgekämpft, ist Lehrerin geworden, hat Autofahren und Fliegen gelernt. Schön, dass das hier nicht zur Lobeshymne verkommt: Der Preis ihrer Stärke ist ihre Härte, die ihre Kinder und Schüler zu spüren bekommen. Zudem gibts jede Menge Einblicke in die Geschichte der USA.
Toll finde ich übrigens auch „Schloss aus Glas“ , in dem Jeanette Walls das Aufwachsen eines Mädchens aus der amerikanischen Unterschicht schildert.
Kathryn Stockett: Gute Geister / The Help
In den 1960iger Jahren sind im amerikanischen Süden die Rollen klar abgesteckt: Junge weiße Frauen besuchen das College nur, um eine gute Partie zu ergattern, und sich dann als Hausfrauen und Mütter zu langweilen und sich gegenseitig in ihren ehrenamtlichen Aktivitäten zu bekriegen. Oft finden sie dann in ihren schwarzen Haushaltshilfen das Ventil für ihre Unterforderung und ihren Frust. Sehr spannend, dieses Buch über Rassentrennung und Bürgerrechtsbewegung aus dem Blickwinkel der Frauen.
Ich habe alle Bücher auf Englisch gelesen. Deshalb habe ich jetzt erst bemerkt, dass gleich zwei der Bücher Geister in ihren deutschen Titeln haben. Was will uns der Zufall wohl damit sagen?
Weitere lesenswerte Bücher zum Thema, über die ich bereits hier geschrieben habe:
Der Distelfink, Donna Tartt
Die Frauen, T.C. Boyle
Fegefeuer der Eitelkeiten, Tom Wolfe
Just Kids, Patti Smith
Nackt, David Sedaris
Stadtgeschichten, Armistead Maupin
Unorthodox, Deborah Feldman
Unschuld, Jonathan Franzen
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!